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Nachruf für Professor Dr. Ernst Niedermeyer (1920 – 2012)

Am Gründonnerstag den 5. April 2012 ist Professor Ernst Niedermeyer, Ehrenmitglied der Österreichischen Gesellschaft für klinische Neurophysiologie und funktionelle Bildgebung im 93.Lebensjahr verstorben.

Ernst Niedermeyer wurde am 19.Jänner 1920 im schlesischen Schönberg geboren. Er besuchte dort die Grundschule und zog als Schüler mit seinen Eltern nach Wien, wo sein Vater, DDDr. Albert Niedermeyer (Pastoralmediziner) schon 1938 mit den Nationalsozialisten in Konflikt geriet und über mehrere Monate inhaftiert wurde. Er maturierte 1938 am Schottengymnasium und musste sein an der Universität Wien begonnenes Medizinstudium wegen des jüdischen Glaubens seines Großvaters abbrechen, wurde in die deutsche Armee eingezogen, an der Ostfront in Russland eingesetzt, wo er sich mehrere Verwundungen zuzog. 1944 wurde er in Frankreich gefangen genommen und als Begleiter und medizinischer Versorger verwundeter US-amerikanischer Soldaten in die USA transportiert, wo er auch in Gefangenschaft war. Nach Kriegsende kehrte er nach Österreich zurück, wo er 1947 in Innsbruck sein Medizinstudium abschloss. 1946 heiratete er Anni Payr, aus dieser Ehe entsprangen 5 Kinder. Zunächst als Gastarzt und ab 1.Oktober 1948 Assistenzarzt an der Innsbrucker Nervenklinik (Ordinarius H. Urban) schloss er 1954 die Facharztausbildung in Neurologie und Psychiatrie in Innsbruck ab, unterbrochen durch Forschungsaufenthalte 1950/1951 in Paris an der Salpêtrière (Stipendium der Französischen Regierung bei Raymond Garcin (1897-1971) als einziger „assistant etranger“ der Pariser Medizinischen Fakultät) und in Lyon. Nachdem die Universität Innsbruck im Rahmen des Marshall-Planes ein EEG-Gerät erhalten hatte, begann ab 1952 eine intensive Beschäftigung mit der Elektroenzephalographie. Auf die Habilitation 1955 (“Über die Reaktion der Großhirnrinde bei vestibulär-calorischer Reizung”) folgte 1958-1960 die supplierende Leitung der Neurologisch-Psychiatrischen Klinik der Universität Innsbruck und 1960 die Ernennung zum außerordentlichen Professor. Noch im gleichen Jahr Wechsel in die USA, zunächst in die EEG- und Neurophysiologische Abteilung der Universitätsklinik in Iowa bei John Knott als Assistant Professor, ab 1964 als Associate Professor. 1965 folgte die Berufung an das Johns-Hopkins-Hospital in Baltimore als Leiter der EEG-Abteilung und Associate Professor für Neurologie sowie ab 1973 auch für Neurochirurgie. Dort war er Teil des epilepsiechirurgischen Programms um Earl Walker und später mit Sumio Uematsu . Ab 1976 Leiter der Seizure Clinic für Erwachsene und seit 1988 Full Professor für Neurologie und Neurochirurgie. 1990 erfolgte die Emeritierung, ab 1997 befand er sich im Ruhestand, obwohl durch EEG-Konsultationen und Publikationen bis vor wenigen Monaten noch weiter aktiv.

Von den zahlreichen wissenschaftlichen Verdiensten Ernst Niedermeyers sei herausgegriffen, dass er 1969 erstmals in einer Publikation den Begriff Lennox-Gastaut-Syndrom (zuvor schon 1966 anlässlich eines Symposiums in Marseille von M. A. Lennox-Buchthal vorgeschlagen) verwendete.

Von den zahlreichen Auszeichnungen seien die Ehrenmitgliedschaft der Deutschen Sektion der ILAE (seit 2004: Deutsche Gesellschaft für Epileptologie) 1987, der Hans-Berger-Preis der Deutschen EEG-Gesellschaft (seit 1996: Deutsche Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und funktionelle Bildgebung; DGKN) 1988, Ehrenmitgliedschaft der österreichischen Gesellschaft für klinische Neurophysiologie 1998, und der Jasper Award der US-amerikanischen Gesellschaft für klinische Neurophysiologie 2000 erwähnt. Seit 2007 vergibt die Österreichische Liga gegen Epilepsie (seit 2011: Österreichische Gesellschaft für Epileptologie) alle zwei Jahre einen nach ihm benannten Preis. Ernst Niedermeyer war (Ko-) Autor und (Mit-) Herausgeber bzw. -Autor zahlreicher Artikel und Bücher inklusive des Standard-EEG-Lehrbuches: Niedermeyer E, Lopes da Silva F, eds. Electroencephalography. Baltimore – Munich, Urban & Schwarzenberg 1982; letzte Auflage als Mitherausgeber: Niedermeyer E, Lopes da Silva F, eds. Electroencephalography. 5th edition. Philadelphia – Baltimore – New York et al, Lippincott Williams & Wilkins 2004 (aktuelle Auflage: Schomer DL, Lopes da Silva FH, eds. Niedermeyer’s Electroencephalography. Basic Principles, Clinical Applications, and Related Fields. 6th edition. Philadelphia – Baltimore – New York et al, Wolters Kluwer / Lippincott Williams & Wilkins 2011).

Die internationale Epilepsiegemeinde, die Gemeinde klinischer Neurophysiologen und viele Schüler verlieren mit dem Tod von Ernst Niedermeyer nicht nur einen ihrer ausgewiesensten EEG-Experten und klinischen Epileptologen, sondern auch einen höchst geschätzten Lehrer und vielseitig gebildeten und aktiven Mensch.

G. Krämer (Zürich) und M. Graf (Wien)